1. Was ist Weiblichkeit?
Diese Frage begleitet mich seit über 25 Jahren – in meinen Bildern und Fotografien, Gesprächen und persönlichen Begegnungen. Weiblichkeit ist für mich keine starre Rolle, sondern ein lebendiger Ausdruck innerer Wahrheit: mal kraftvoll, mal zart, mal rätselhaft.
Kürzlich traf ich Sasha, eine Transfrau, die mich mit ihrer Geschichte tief berührt hat. Wir machten gemeinsam ein Fotoshooting – oder besser gesagt: einen fotografischen Spaziergang durch Düsseldorf. Zwischen Altstadtgassen und Straßencafés, bei Espresso und Rotwein, entstand nicht nur eine Serie ausdrucksstarker Porträts – sondern ein Gespräch über Identität, Scham, Inszenierung und den Mut, sich selbst zu verwirklichen.
Dieses Gespräch hat meine Perspektive erweitert – nicht, weil Sasha keine biologische Frau ist, sondern weil sie es gewagt hat, ganz sie selbst zu werden. Weiblichkeit – so wurde mir an diesem Tag noch einmal bewusst – ist nicht das, was man sein soll, sondern das, was man spürt. Ein stiller, tiefgreifender Dialog über das Frausein – in all seiner verletzlichen Stärke.

2. Sasha – Die stille Kraft einer Frau
Sasha wurde als Junge in Serbien geboren und wuchs in Deutschland auf. Schon als Kind fühlte sie sich „anders“ – spielte lieber mit Puppen, bewegte sich sanft, benahm sich eher wie ein Mädchen. Für ihre Eltern war das zunächst kein Thema. Doch in der Schule wurde sie zur Zielscheibe. Im Schwimmunterricht bekam sie Panikattacken, in den Umkleiden wurde sie beschimpft, bespuckt, ausgegrenzt. Lehrer schauten weg, Mitschüler lachten. „Ich wollte einfach nur unsichtbar sein“, sagte sie mir mit leiser Stimme.
Auch zu Hause wurde es schwieriger, als sie sich mit 17 zunächst als homosexuell outete. Es folgten Kontrolle, Druck, Isolation. Sasha lief weg, kehrte zurück, versuchte sich ihren Platz zu erkämpfen – und verließ die Schule als zutiefst verunsicherter Mensch.
Als wir uns begegneten, wusste ich nichts davon. Ich sah eine elegante, selbstbewusste Frau, mit einem ruhigen Blick, der mehr erlebt hat, als Worte sagen können. Wir spazierten durch Düsseldorf, hielten an Cafés, sprachen über Weiblichkeit – und ich fragte mich: Wirst du in diesen Bildern jene Weiblichkeit spüren, die in meiner Kunst oft sichtbar wird?
Vielleicht kannst du es. Vielleicht spürst du es in dieser stillen, ungebeugten Kraft, die Sasha ausstrahlt – ohne sie erklären zu müssen.
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3. Was ist Weiblichkeit – für sie, für mich, für uns?
Ich habe viele Frauen gemalt – Frauen in leuchtenden Farben, in sinnlichen Momenten, in nachdenklicher Stärke. Und doch frage ich mich immer wieder: Was ist Weiblichkeit wirklich? Ist sie ein Körper? Eine Haltung? Eine Emotion?
Sasha hat mir eine Antwort gegeben, die mich tief bewegt hat. „Früher dachte ich, Weiblichkeit ist Schminke, lange Haare, ein Rock. Heute weiß ich: Es ist die Art, wie du fühlst.“ Ihre Stimme wurde weicher, als sie von ihrer Mutter sprach – von bedingungsloser Fürsorge, von Empathie, von Liebe, die nicht bewertet. „Ich habe mich immer mit weiblicher Emotion identifiziert“, sagte sie. „Mit der Fähigkeit, tief zu empfinden und trotzdem stark zu bleiben.“
Für Sasha war Weiblichkeit nie ein Spiel – sie war eine Wahrheit, die sie sich erst erkämpfen musste. Das Recht, sich zu schminken, einen femininen Gang zu haben, als Frau angesprochen zu werden, bedeutete für sie nicht Luxus, sondern Selbstverbindung. Nicht nur, um gesehen zu werden – sondern um endlich sie selbst zu sein.
Und ich? Ich habe durch sie verstanden, dass viele meiner Bilder vielleicht Versuche waren, dieser inneren Weiblichkeit ein Gesicht zu geben. Nicht der perfekten Frau, sondern der fühlenden. Der suchenden. Der still rebellischen.
Vielleicht ist Weiblichkeit kein Zustand, sondern eine Frage, wie wir sie leben – jede auf ihre eigene Weise. Nicht laut, nicht endgültig. Sondern mit Blicken, Gesten, Entscheidungen. Und manchmal mit der Entscheidung, trotz aller Angst zu sagen: So bin ich. So will ich leben.

4. Die Rolle, die keiner schrieb
Viele Frauen leben heute in Rollen, die sie sich vielleicht einmal selbst ausgesucht haben – aber irgendwann spüren, dass diese nicht mehr zu ihnen passen. Ehefrau, Mutter, Karrierefrau, Hübsche, Starke, Angepasste. Man spielt sie – manchmal meisterhaft – und merkt doch: Etwas bleibt auf der Strecke. Nicht, weil die Rolle falsch ist, sondern weil sie sich verändert hat. Oder wir selbst uns verändert haben.
Denn zwischen Funktion und Gefühl entsteht manchmal ein Raum, in dem die eigene weibliche Identität kaum noch Platz findet.
Sasha kennt dieses Gefühl auf eine radikalere Weise. Sie musste sich nicht nur mit Erwartungen auseinandersetzen – sondern mit dem tiefen Verbot, überhaupt eine weibliche Rolle leben zu dürfen.
„Ich durfte nie einfach nur ich sein“, sagte sie mir. „Ich musste mich immer erklären. Mich rechtfertigen. Und all das aushalten.“
Es war kein plötzlicher Befreiungsschlag, sondern ein langer, zäher Prozess. Schritt für Schritt lernte sie, sich das zu erlauben, was sich innerlich richtig anfühlte: sich zu schminken, weich zu sein, gesehen zu werden – ohne Maskerade, aber auch ohne Entschuldigung.
Ich glaube, genau diese Frage stellt sich jede Frau irgendwann im Leben:
Was, wenn das, was ich tue, nicht mehr mit dem übereinstimmt, was ich bin?
Manchmal geschieht das morgens vor dem Spiegel. Oder beim Blick auf ein Leben, das äußerlich funktioniert – aber innerlich nicht klingt.
Sicherheit kann sich wie ein goldener Käfig anfühlen. Und manchmal fällt durch die glänzenden Gitter ein Lichtstrahl der Sehnsucht – zart, aber unübersehbar.
Sasha hat sich entschieden, die eigene Rolle selbst zu schreiben. Nicht, um zu provozieren – sondern um ehrlich zu leben.
Vielleicht liegt darin die eigentliche Kraft: nicht das Anderssein, sondern das Nicht-mehr-Mitspielen nach Regeln, die nie die eigenen waren.

5. Emotion als weibliche Kraft
„Weiblich bedeutet für mich vor allem Emotion“, sagte Sasha, ohne zu zögern. Keine Pose, kein Konzept – sondern ein tiefes inneres Empfinden, das in unserer lauten, funktionalen Welt oft übersehen wird. Weiblich zu sein heißt für sie: mitfühlen, verstehen, geduldig bleiben, ohne sich selbst aufzugeben. Es ist keine Schwäche, sondern eine stille Form von Stärke.
Sasha sprach mit Wärme über ihre Mutter und ihre Schwester – zwei Frauen, die ihr zeigten, was gelebte Weiblichkeit bedeutet. Nicht nur durch Worte, sondern vor allem durch Haltung: Treue, Fürsorglichkeit, die Fähigkeit zu lieben, auch wenn es schwerfällt. „Ich habe diese Energie schon als Kind in mir gespürt“, sagte sie. „Aber ich durfte sie nicht zeigen, weil sie nicht zum Geschlecht passte, das mir zugewiesen wurde.“
In ihrer heutigen, emotional gelebten Weiblichkeit spürt Sasha etwas, das weit über äußere Merkmale hinausgeht. Es ist eine Energie, die verbindet statt trennt, die Raum gibt statt einengt. Genau diese Form emotionaler Weiblichkeit berührt auch in meiner Kunst. Diese Weiblichkeit ist tief, weich, ehrlich.
Vielleicht ist die weibliche Kraft nicht das, was wir sehen. Sondern das, was in uns mitschwingt – wenn wir bereit sind, wirklich zu fühlen.

6. Femme Fatale & die Angst vor der freien Frau
Die Femme Fatale – sie fasziniert, sie irritiert, sie passt nicht in das Bild der „guten Frau“. Sie ist schön, aber nicht gefällig. Sie bestimmt selbst, was sie zeigt – und was sie für sich behält. Ihre Freiheit wirkt auf viele wie eine stille Bedrohung. Denn in ihr lebt ein ungelöstes Thema unserer Gesellschaft: die Angst vor weiblicher Selbstbestimmung.
Als ich Sasha bei unserem Spaziergang beobachtete – wie sie sich bewegt, wie sie schaut, wie sie einfach präsent ist –, erinnerte sie mich an genau diese Kraft. Klar. Wach. In sich ruhend. Und ich fragte mich: Vielleicht ist das die eigentliche Provokation – eine Frau, die nicht gefallen will, sondern einfach nur ist.
Sasha selbst sieht in der Femme Fatale eine Parallele: „Diese Figur polarisiert. Und ich weiß, dass auch ich polarisiere – nicht, weil ich es will, sondern weil ich mich nicht mehr verstecke.“ Ihre Präsenz erinnert uns daran, wie viele Frauen gelernt haben, sich kleiner zu machen, um nicht „zu viel“ zu wirken.
Doch vielleicht beginnt wahre Freiheit genau dort, wo wir aufhören, uns für unsere eigene Kraft zu entschuldigen.
Mehr zum Archetyp der Femme Fatale findest du in meinem Artikel:
➤ Zum Artikel: "Vergiss nett, sei gefährlich – Die Kraft der Femme Fatale"
7. Transformation – Der Mut, sich selbst zu werden
Transformation ist ein großes Wort. Oft denken wir dabei an radikale Umbrüche, an äußere Veränderungen, an spektakuläre Neuanfänge. Doch wirkliche Transformation beginnt leise – mit einem inneren Ja. Mit dem Entschluss, nicht mehr nur zu funktionieren, sondern zu fühlen. Mit dem Mut, sich selbst zuzuhören, auch wenn die Antworten unbequem sind.
Sasha hat viele solcher inneren Schwellen überschritten. Nicht alle auf einmal, nicht ohne Angst. Sie sprach davon, wie schwer es war, sich selbst zu erlauben, anders zu sein. Und davon, wie lange sie ihre eigenen Bedürfnisse unterdrückte, nur um irgendwo dazuzugehören. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem sie sich fragte: Was verliere ich eigentlich, wenn ich mich selbst immer weiter verleugne?
Ich glaube, viele Menschen – gerade in der Mitte ihres Lebens – kennen diesen stillen Schmerz. Dieses leise Ziehen im Innern, das sagt: Da war doch mal mehr. Das Gefühl, das eigene Leben eher zu verwalten als wirklich zu gestalten. Doch es ist nie zu spät, etwas zu verändern. Transformation muss nicht laut sein. Sie beginnt in einem stillen Raum – irgendwo zwischen Sehnsucht und Entscheidung.
Sasha hat diesen Schritt gewagt. Nicht, um jemand anderes zu werden. Sondern um endlich sie selbst zu sein. Vielleicht ist genau das die tiefste Form der Verwandlung: nicht neu zu werden – sondern nach Hause zu kommen. Zu dem Menschen, der wir immer schon waren – unter all den Schichten aus Angst, Anpassung und Erwartung.
Willst Du mehr über weibliche Archetypen erfahren?
➤ Zu meiner YouTube-Reihe "Archetypen, Weiblichkeit & Kunst"
8. FAQ – Weiblichkeit, Transsein & die stille Rebellion des Selbst
Was bedeutet Weiblichkeit für eine Transfrau wie Sasha?
Für Sasha ist Weiblichkeit keine Frage von Make-up oder Kleidung – sondern eine emotionale Wahrheit. Sie beschreibt sie als tiefe Empathie, Intuition, Fürsorge und die Fähigkeit, sich selbst und andere liebevoll anzunehmen. Weiblichkeit bedeutet für sie: fühlen dürfen. Und das Leben aus dieser Tiefe heraus gestalten.
Ist Transsein heute nicht einfach ein Trend?
Sasha sagt klar: Nein. Transsein ist kein Lifestyle und kein Instagram-Phänomen. Es ist eine existentielle Reise – oft verbunden mit Einsamkeit, Verlust und dem Mut, gegen gesellschaftliche Erwartungen zu stehen. Der mediale Hype mag laut sein. Doch das echte Erleben ist leise, ehrlich und fordernd.
Kann man sich auch in der Lebensmitte noch verändern?
Gerade dann. Sasha hat viele ihrer wichtigsten Entscheidungen getroffen, als andere schon dachten: „Jetzt ist es doch zu spät.“ Aber das ist ein Mythos. Jeder Moment, in dem du beginnst, dich selbst ernst zu nehmen, ist der richtige Moment.
Warum beschäftigt sich eine Künstlerin wie du mit diesem Thema?
Weil ich seit über 25 Jahren das Thema Weiblichkeit erforsche – in Farben, Formen, Begegnungen. Sasha war für mich ein Spiegel: für all das, was Weiblichkeit auch sein kann. Ihre Geschichte berührt das, was ich mit meiner Kunst zeigen möchte – jenseits von Rollen, Klischees und Etiketten.
Was hat Weiblichkeit mit Selbstinszenierung zu tun?
Viel. Weiblichkeit ist oft ein bewusster Akt der Gestaltung – mal sinnlich, mal verletzlich, mal provokant. Sasha spielt keine Rolle. Sie lebt eine Wahrheit, die sich täglich neu erfindet. Viele Frauen trauen sich nicht, sich selbst in Szene zu setzen – aus Angst, „zu viel“ zu sein. Doch genau darin liegt Freiheit: sich zur Hauptfigur im eigenen Leben zu machen.
Was hat die Femme Fatale mit Transfrauen zu tun?
Beide stehen für Selbstbestimmung – und für das Unbequeme, das entsteht, wenn Frauen sich nicht mehr entschuldigen. Die Femme Fatale lebt ein archetypisches Schattenbild der weiblichen Kraft: gefährlich, frei, nicht kontrollierbar. Auch Transfrauen wie Sasha verkörpern diese Provokation – nicht durch Inszenierung, sondern durch das bloße Dasein in ihrer Wahrheit.
9. Fazit & meine Einladung
Dieses Gespräch mit Sasha hat mich nicht belehrt, sondern berührt. Es hat mir keine neue Definition von Weiblichkeit geliefert – aber einen weiteren Blickwinkel eröffnet. Einen, der nicht fordert, sondern fragt. Einen, der nicht provoziert, sondern spürbar macht, wie vielfältig, tief und individuell Weiblichkeit empfunden werden kann.
Vielleicht ist genau das der Weg, den ich mit meiner Kunst und meinen Texten weitergehen möchte: Menschen begegnen, die nicht die Norm bedienen, sondern ihr eigenes Maß finden. Frauen, die fühlen, statt zu gefallen. Frauen, die sich selbst nicht als Rolle, sondern als lebendigen Prozess verstehen.
Das Gespräch mit Sasha war der Anfang. In den kommenden Monaten möchte ich weitere Frauen porträtieren – Künstlerinnen, Denkerinnen, Mütter, Träumerinnen – und mit ihnen über das sprechen, was uns verbindet: die Sehnsucht, wir selbst zu sein – und Weiblichkeit so zu leben, wie sie sich für uns richtig anfühlt.
Wenn du dich in diesen Fragen wiederfindest, dann begleite mich weiter auf dieser Reise.
Willst du mehr über die Weiblichkeit in meiner Kunst erfahren?
➤ Zum Artikel: “Psychologie der Weiblichkeit – Die Kunst, eine Frau zu sein”